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Wie die obige Schlagzeile der BILD am Sonntag vom 17.09.1967 zeigt, erregte es bundes-, ja weltweit Aufsehen, dass die Schüler an der Halepaghen-Schule in den Klassenstufen 12 und 13 nicht mehr in Klassen getrennt unterrichtet wurden, sondern Kurse und auch die Kursleiter und damit ihre Prüfer frei wählen konnten.
Der Spiegel schrieb in Heft 46/1966:
Im niedersächsischen Buxtehude leben und lernen Oberstufenschüler neuerdings fast schon wie Studenten.
Erstmalig in diesem Jahr durften die 108 Unter- und Oberprimaner – Oberstudiendirektor Dr. Johannes Güthling, 62 „Die Damen und Herren der formierten Oberstufe“ – ihren Unterrichtsstoff anhand einer Art Vorlesungsverzeichnis fast so frei wählen wie Studenten ihre Kollegs. «
Was war das Buxtehuder Modell ...
Prof. Dr. Detjen nennt in Das »Buxtehuder Modell" (1966). Die Halepaghen-Schule schreibt Schulgeschichte« [1] zwei Grundideen:
„... die völlige Auflösung der Jahrgangsklassen in den Stufen 12 und 13 und ihre Ersetzung durch Arbeitsgruppen, deren Zusammensetzung die Primaner durch einen Wahlakt selbst bestimmten.
... die Mitbestimmung der Oberstufenschüler in verschieden Gremien, von denen die bedeutenden sogar paritätisch besetzt waren.“
Und weiter heißt es:
"Der im Zentrum stehende Unterricht in Arbeitsgruppen – eine Vorform des heutigen Unterrichts im Kurssystem – umfaßte, ungewöhnlich genug, Schüler zweier Jahrgangsstufen. Schüler erhielten zudem erstmals die Chance, über angebotene Themen ... einschließlich der ... Lehrer frei zu entscheiden, ein für damalige Verhältnisse geradezu revolutionärer Vorgang."
[1] In: 600 Jahre Halepaghen-Schule. Festschrift zum 600jährigen Jubiläum. Buxtehude 1991, S. 53 - 76.
Den Schülern wurden bis dahin unbekannte Freiheiten zugestanden. Alles mit dem Ziel, die Schüler besser auf die Arbeitsweise der Hochschulen vorzubereiten: selbstständiges Arbeiten, Protokollieren, Leiten von Diskussionen, Anfertigen von Referaten, usw.
Prof. Dr. Schierholz (Abi '74 an der HPS) schreibt auf seiner Hompage an der Uni Erlangen:
"Das, was andere später unter "Reformierter Oberstufe" und dann "Sekundarstufe II" kennen gelernt haben, hatten wir in Buxtehude weitaus früher und erheblich ausgedehnter.
Kurswahl (und damit auch Lehrerwahl) war in einigen Fächern bereits in der 11ten Klasse möglich, die 12te und 13te hatte gemeinsam Kursunterricht, der GA (Gemeinsame Ausschuss), sechs Lehrer und sechs Schüler plus Direktor, entschieden über die Geschicke der Schule und waren durch die Gesamtkonferenz nicht zu überstimmen.
Kleingruppenunterricht, programmiertes Lernen, Team-Teaching, Zensurendiskussionen waren selbstverständlich, das Hinterfragen der Unterrichtsinhalte war erlaubt (und wurde geschätzt)..."
.. und was ist geblieben?
Das wesentliche demokratische Element des Buxtehuder Modells, die paritätische Mitbestimmung von Lehren, Schülern – und später der Eltern – im GA gibt es in dieser Form nicht mehr. Durch die Einführung der "Eigenverantwortlichen Schule" sind wesentliche Kompetenzen von GA und Gesamtkonferenz auf den Schulleiter und den Schulvorstand übergegangen. In letzterem haben allerdings inzwischen die Lehrer (50%) gemeinsam mit dem Schulleiter gegenüber den Eltern und Schülern (jeweils 25%) die Mehrheit. Der Schulleiter hat die letzte Entscheidungskompetenz. Immerhin hat die HPS für den Erhalt des GA gesorgt, der heute dem Schulvorstand nur noch beratend zur Seite steht. Auch die Wahlfreiheit der Schülerinnen und Schüler ist durch Profilvorgaben deutlich eingeschränkt worden.
Wenn vom 29. - 31. Mai 2013 die neuen Jahrgänge 11 und 12 ihre Kurse wählen und wenn später im Schuljahr Oberstufenausschuss Schüler, Lehrer und Eltern über diese Kurswahlen und Einsprüche entscheiden oder wenn im GA/Schulvorstand beraten wird und Beschlüsse gefasst werden, dann sollte man sich erinnern, dass alles 1966 mit dem Buxtehuder Modell begann.
In den vergangenen vier Jahrzehnten hat die Halepaghen-Schule große Anstrengungen unternommen, entgegen einengender gesetzlicher Regulierungen die demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten und die Wahlfreiheiten der Schülerinnen und Schüler so weit wie möglich zu erhalten. Diese freiheitliche Atmosphäre, in der man sich entwickeln und entfalten kann, zu schätzen und zu erhalten bleibt auch in Zukunft eine wichtige Aufgabe für Schülerinnen und Schüler, für Eltern und das sich ständig verändernde Kollegium der HPS wie auch für künftige Schulleiter.
Das weltweite Medienecho 1966 - 1969:
Das Buxtehuder Modell fand starken Niederschlag in der wissenschaftlichen Literatur, war Untersuchungsgegenstand zweier Doktorarbeiten ([1] S. 59) und fand auch Beachtung in Funk und Fernsehen (Beiträge in REPORT München, ZDF IMPULSE, usw.). Bundesweite Aufmerksamkeit fand die Halepaghen-Schule in der Presse (FAZ, SZ, ZEIT, SPIEGEL, STERN und in vielen Lokalzeitungen). Der Buxtehuder Schulversuch geriet teilweise zum Medienspektakel, wenn in erster Linie über die neuen Freiheiten der Schüler und den möglichen Missbrauch derselben reißerisch berichtet wurde. Ende 1967 titelte das englische Massenblatt The Sun sogar »School — where pupils smoke, take any day off, and even pick their own teacher«.
Hier eine kleine Auswahl:
DER SPIEGEL berichtete mehrfach:
46/1966 – Klassenlose Gesellschaft
28/1968 – Bün all hier
45/1969 – Gegen den Strich
37/1970 – Der SPIEGEL berichtete...